Text für Lesung anlässlich des 1. Literaturfesivals in Basel 2003

 

Warum meine Mutter Blumen gemalt hat, vor allem Kamelien und Rosen, aber auch Magnolien,

weiss ich nicht. Ich habe sie nicht gefragt, solange sie noch am Leben war, Zeit genug wäre doch vorhanden gewesen, sie hätte mir sicherlich gern geantwortet. Vielleicht habe ich auch darum nicht ausdrücklich danach gefragt, weil ich mit Blumen nicht allzuviel anfangen konnte damals, aber eigentlich waren es ja nicht die Blumen, welche mir nicht gefielen, es war das was ich als Haltung hinter den Blumen erahnte, zu vermuten glaubte, womit ich meine Mühe hatte. Ich habe das für mich als Eskapismus, als Realitätsflucht, als Biedermeierreaktion definiert und dagegen war und bin ich doch einigermassen allergisch. Und meine Ansicht war nicht ganz einfach vermittelbar, denn ich wollte sie ja nicht verletzen, aber ich glaubte, dass Bilder eine andere Funktion haben sollten. Ja welche denn?

 

Konnte ich oder kann ich jetzt diese Funktion mit meiner eigenen Arbeit einlösen oder zumindest eingrenzen, näher definieren?
Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher: Je mehr und je länger ich mit eigenen und fremden Bildern zugange bin, desto weniger Klarheit entsteht, zwar führt nach wie vor ein Bild zum anderen, aber anstelle einer allmählichen Reduktion, einer Begriffsklärung tun sich immer neue Bedeutungsebenen auf. Und das hört nicht auf, es geht immer weiter und dass sich dabei wie von selbst alle Bildhierarchien auflösen, darunter verstehe ich die Unterschiede zwischen den verschiedenen Bildherkünften, also zum Beispiel die nichtkommerziellen im Verhältnis zu den kommerziellen, die sogenannt ideologiefreien zu den offensichtlich manipulierten, die statischen zu den bewegten, undsoweiter, all diese und noch viele andere vermischen sich immer mehr und was dabei herauskommt, sind einfach wieder neue Bilder und wer will und kann diese überhaupt sehen?

 

Das ist überhaupt nicht einfach für die Augen und noch viel weniger einfach für das Bewusstsein.
Ein Wahrnehmungsparadox, eines von vielen: zuwenig ist nicht gut, aber zuviel ist auf eine ganz andere Art und Weise auch nicht besser. Wieviel Bilder braucht der Mensch und was für welche? Wann, wie lange und wo?
Die Funktion der Bilder ist immer weniger klar, eindeutig waren sie eh nie, parteiisch waren sie auch immer schon, aber was mir heutzutage dabei als neue Bilddimension auffällt, ist die Mehrdeutigkeit am selben Ort zur selben Zeit- mir scheint, dass Bilder auch noch ganz andere Qualitäten als nur die optisch wahrnehmbaren vermitteln. Sprachlich und logisch unkorrekt würde ich sagen, dass Bilder flüssig geworden sind, oder gasförmig eventuell, und meine damit dass sie sich ihrer jeweiligen Umgebung anpassen, diese ohne weiteres ausfüllen- made to fit. Das Wasser, auch die Gase fragen nicht nach ihrer Begrenzung, sie besetzen den vorhandenen Raum ganz selbstverständlich, und wenn dieser nicht ausreicht, entwickeln sie eine Eigendynamik, alles ganz ohne Emotion oder Ideologie, ihre Präsenz schafft neue Fakten. Realität. Das ist zuerst einmal eine neue ungewohnte Wahrnehmung. Bilder schaffen neuen Raum. Ein weiteres Paradox- wie sich zwei und drei Dimensionen verbinden.


Ich bin lange von der Annahme ausgegangen, dass die Energie, die Richtung von den Bildern selbst ausginge, stelle aber inzwischen fest, dass die Bilder ihre Energie, ihre Richtung ihr Ziel erst am Ort erhalten, wo sie öffentlich werden. Bilder sind Material zur freien Verwendung. Freeware heisst das im Netz. Ferdinand Hodler hat mehrere Versionen des bekannten Holzfällers gemalt, eine davon hängt bei Christoph Blocher und eine andere bei Moritz Leuenberger und eine weitere hängt im Kunsthaus Zürich.

Wer das Bild an welchem Ort für welche Zwecke verwendet, das ist kein Paradox, das ist ein ganz anderer Diskurs, dabei handelt es sich um Macht, bzw. um Machtverhältnisse. So stellt sich die Frage heute anders- nicht was für ein Bild sondern den richtigen Ort für das Bild. Ein Ort für das Bild.

 

Dazu aus Bayern ein historischer Erklärungsversuch über eine sehr realistische Funktion des Bildes.
Damals ging es um die Gewinnung von Schiesspulver, also um Vorbereitungen zum Krieg und zugleich um ein Tabu: ein Raum, der Bilder enthält ist als Wohnraum definiert und kann nicht einfach ohne weiteres betreten werden, noch kann daraus etwas einfach abgeschleppt werden. Beamte der bayrischen Regierung schickten Soldaten auf die Suche nach Salpeter, da dieser Stoff als Oxydationsmittel zur Herstellung von Schiesspulver benötigt wird. Salpeter findet sich auch in Viehställen, wo aus dem Mist die gelösten Nitrite kapillar in die umgebenden Wände ziehen, wo sie auskristallisieren und Mauersalpeter bilden und dieser lässt sich leicht abkratzen. Da den Bauern die Stallinvasionen nicht gerade angenehm waren, da sie sich aber nicht offen gegen die Regierung stellen wollten, besannen sie sich auf einen Rechtsgrundsatz- wenn ein Bild in irgendeinem Raum hängt, ist dieser geschützt gegen Übergriffe auch der staatlichen Art. Also wurden die Maler um eine Einnahmequelle reicher, aber bald zeigte sich, dass die aufgehängten Bilder, meist kleine Oelgemälde auf Leinwand der Feuchtigkeit im Stall nur für kurze Zeit Widerstand leisten konnten, und so wurde aus der Not eine neue Technik entwickelt, welche verschiedenen Ansprüchen gerecht werden musste: als erstes mussten die Bilder feuchtigkeitsresistent sein, dann durften die Farben nicht verblassen, kurz, die neuen Bilder sollten nicht altern. Und so, die Geschichte habe ich von einem befreundeten Architekten und dieser hat sie von einem bayrischen Volkskundler gehört, ist die Hinterglasmalerei entstanden- eine interessante Variante im malerischen Ausdrucksfeld. Der Träger aus Glas, aus einem nichtorganischen Material, liegt im Gegensatz zum üblichen Tafelbild zuvorderst, also dem Betrachter zugewendet, die Pigmente und ihre oxydierenden Bindemittel liegen dahinter, das Bild ist somit äusserst witterungsresistent. Diese Umstände bedingen ganz offensichtlich eine neue, andere Arbeitsweise, denn das was gerade bearbeitet wird ist nicht das was man nachher sieht, es entstehen ganz neue Komplexitäten. Natürlich kann man das Bild auch einfach zerschlagen, dagegen hilft nichts, man kann schliesslich alles kaputtmachen, immer von neuem.

 

Was hat das mit uns hier und heute zu tun? Nun, um nochmals meine Mutter zu bemühen, auch sie hat sich, ohne diese Geschichte zu kennen, dieser Technik, der Hinterglasmalerei, bedient. Votivtafeln, religiöse Darstellungen, also eine als naiv verschrieene Spielart der Kunst, all das war für mich ein weiterer Grund zur Reserve, denn ich dachte damals dass die Haupterkenntnisse des dialektischen Materialismus nahtlos auch auf die Kunst übertragbar wären, nun, das hat sich im Lauf der Zeit als Trugschluss erwiesen.

 

Wenn auch der Schutz, den die neue Technologie gegen die alten Invasoren bot, vermutlich nur von kurzer Dauer war, so ist doch schön und fast tröstlich zu wissen, dass Bilder eine Tabufunktion übernehmen können, vielleicht gab es aus diesen Gründen im Alten Testament ein Abbildverbot, Gott will nicht gespiegelt werden, weil das auf Distanz, und deshalb auf eine ironische Funktion hinweisen könnte, die Folgen sind, man stelle sich vor, unabsehbar, auch im Islam gab es zeitweilig ein Verbot der Darstellung Allahs und des menschlichen Körpers überhaupt, und wo sind wir jetzt angelangt- im Wirrwar der verschiedenen Perspektiven und ganz nah an der Aktualität.

Wenn anderswo erwogen wurde Menschen als Schutzschilder für Gebäude einzusetzen, hat eine ähnlich fundamentale Sinnumkehrung stattgefunden wie in der Hinterglasmalerei, wo der Träger zur Oberfläche wird, nicht mehr das Haus schützt den Menschen, sondern der Mensch schützt das Haus, damit ihn das so geschützte Haus nachher weiterhin schützen kann. Dieser Schutz funktioniert natürlich nur, wenn die Aggressoren von derselben moralischen Basis ausgehen wie die Angegriffenen und dass dies nicht so ist, wissen wir auch schon seit dem

letzten und dem vorletzten Krieg und auch ohne Sloterdijk wissen wir endlich, dass Bilder gar nichts erklären, nur noch illustrieren, und dass sie nur in Ausnahmefällen schützen.


Wenn all die schön gemalten Regenbogen, ganz zu schweigen von all den wirklich kompetenten Einflussnahmen, nicht mehr ausgerichtet haben als das was jetzt weltweit durchgesetzt wird, dann ist ein wenig Naivität doch wohl erlaubt, denn schaden tut diese nur wenig und sterben muss deswegen auch niemand. Bilder sind freiwillig, sie sind keine Waffen, wenn’s um Oel oder hegemoniale Interessen geht.

Lange war die Kunst ein europäisches Monopol, zu Beginn des letzten Jahrhunderts stiessen die USA zögernd dazu und haben dann in kürzester Zeit auch in diesem Bereich die vorläufige Vormachtstellung übernommen.


Der ganze Rest der visuellen, ästhetischen Produktion wurde zwar auch wahrgenommen, gesammelt und gehandelt, war aber von vornherein zweite Wahl, allenfalls interessant als Resource für die ermatteten, im Auslaufen begriffenen ästhetischen Schablonen der ersten Welt oder als exotischer Nervenkitzel in den völkerkundlichen Museen, welche sich ja allesamt in den letzten Jahren umbenannt haben in Museum der Kulturen z. B., auch das entlarvend, weil es immer noch bedeutet, dass es eine Leitkultur gibt, die unsrige nämlich, und dann folgt alles andere, die Kulturen von sonstwoher, und denen wird hier bei uns grosszügigerweise auf Zusehen hin Gastrecht gewährt.

 

Die Malerei, die Kunst schreibt die Geschichte der Globalisierung mit, zwar nicht in führender Position, aber aus der Perspektive der Sehens, der Wahrnehmung des Scheins und des sich andauernd verändernden Kunstbegriffs. Wir leben heute in einer Epoche, welche verlogener gar nie war, in einer Zeit, wo die Doppelmoral die kärglichen Reste der Aufklärung fast vollends verdrängt hat, in einer Gesellschaft, in der die Bilderlügen und die anderen Lügen das Denken, also zum Beispiel die Beziehung zwischen der Sprache und der Sexualität grundlegend verändert haben.

Bis wir da durchblicken, braucht es, so scheint mir, noch ein paar Bilder mehr.

Reden ist Silber,
Malen ist Gold, -vielleicht.

 

Matthias Aeberli März- April 2003