Der Schmerz entsteht  über den Verlust der Sicherheit des Kapitals in der Unsicherheit des Existentials

Pier Paolo Pasolini La ricotta 1963

 

Der Weg in mein Atelier führt durch den Rüchligweg in Riehen, dort gibt es eine Steinbildhauerwerkstatt, welche durch einen Maschendraht  von der Fahrbahn abgeteilt ist. Durch die Maschen sieht man verschiedene bearbeitete Steine. Von 2008 bis 2011 auch einen Eisbären aus Marmor in etwa natürlicher Grösse. Diese Skulptur von Adolf Weisskopf , 1949 fertiggestellt, ein Kunstkreditauftrag für das Planschbecken auf dem Voltaplatz, wurde dort restauriert nachdem er im Februar 2008 auf dem Voltaplatz geteert und gefedert worden ist.

Im Jurybericht des Kunstkredits 1947 wird das Honorar für die Arbeit mit 7 500 CHF angegeben. Wieviel die Restaurierung, welche sehr aufwendig und ziemlich lösungsmittelhaltig gewesen sein soll, gekostet hat, weiss ich nicht.

 

Ob die Verursacher dieser Verunstaltung dem Eisbären Knut (2006-2011) eine Referenz erweisen wollten oder ob es sich um Aktivisten aus der Szene um den Erhalt der Häuser an der Wasserstrasse gehandelt hat, ist nicht geklärt. Der Kampf um den Erhalt von Wohnraum, das Einfordern von Freiraum hat dann auf dem Voltaplatz am 24. September 2011 ein vorläufiges Ende gefunden, nachdem in einer Nacht aus einer unbewilligten Party eine ebenso unbewilligte Aktion entstand, während der etliches Mobiliar, Scheiben, Autos zerstört wurden. Daraufhin wurde der Infostand, der Holzturm namens revolta geschleift.   

Jetzt ist der Eisbär wieder wie neu zurück auf dem Voltaplatz, wo er Teil einer neuen Platzanlage geworden ist, welche einerseits durch den Novartis Campus und anderseits durch die Voltastrasse begrenzt wird. Die Anwohner haben ihre Ruhe, der Novartis Campus wächst weiter, die Schiessanlage am Allschwilerweiher wurde diesen Mai geräumt und die Villa Rosenau ist seit Februar ebenfalls Geschichte.

 

Die Forderung nach Freiräumen, nach bezahlbarem Lebens- und Wohnaum, nach bezahlbaren Ateliers, all das sind verwandte Bereiche, die berühren alle einen zentralen Begriff, den Eigentumsbegriff, welcher sich- schon länger her- aus der Privatisierung von Grund und Boden herleitet. Und hier wird der Kulturbegriff wie von selbst politisch.

 

Der Eisbär, mittlerweile 66 Jahre alt, ist Zeuge der wechselvollen Nutzung des Platzes, er selbst als Kunstwerk kann sowohl als Symbol für Globalisierung oder als Kinderspielzeug gedeutet werden je nachdem ob man ihn als Zentrum eines Planschbeckens mit Kindern welche auf ihm reiten sieht oder vor dem Hintergrund des Novartis Campus. Der Kunstbegriff, auch der erweiterte ist immer auch abhängig von der  Perspektive.

Daniel Vasella war 2008 Konzernchef von Novartis. Vielleicht geht die Handlung, einen bis anhin eher unauffälligen steinernen Eisbären zu teeren und zu federn auf eine Vorstellung zurück, welche man unter dem Begriff „in effigie“ kennt. Dies bedeutet dass man eine Person, welcher man nicht habhaft werden kann oder die flüchtig ist, in Abwesenheit, verurteilt, richtet und allenfalls hinrichtet. Der Bär, das Kunstwerk muss wegen seiner geographischen Nähe zum Konzernchef, der ein Symbol für Turbokapitalismus (Jean Ziegler) geworden ist, ebenfalls symbolisch und ungefragt herhalten. Das Tier oder das Bild des Tieres als Blitzableiter.

 

Im Juni ist Basel für eine Woche Zentrum der Kunstwelt, das kann man nicht genug wiederholen. Dieses Jahr, wo die Art Basel erstmals die neue Architektur von HdM bespielen durfte, hat die Messeleitung Tadashi Kawamata eingeladen eine Arbeit im Freien vor der Messe zu realisieren. Entstanden ist das Favela Café, eine Ansammlung Holzhüttchen aus Restmaterialien, gebaut unter Mithilfe von Leuten, denen im Voraus das Recht auf Weiterverwertung der Materialien nach Abbruch der Aktion zugesichert worden war. Das Favela Café ist wie die meisten Arbeiten Kawamatas nicht verkäuflich und wird vom Künstler als Arbeit auf Zeit deklariert. Die Hüttchen wurden bespielt, man konnte sie als Bar oder als Erholungsraum benutzen. Dass diese Arbeit vor allem über ihren Titel auch Befremden auf verschiedensten Niveaux auslösen sollte, war eigentlich absehbar. Vor Jahren an der documenta  wurde dieselbe Arbeit abgebrannt.

 

In Basel liessen sich einige Aktivisten von dem immanenten Zynismus insoweit provozieren, dass sie eine Gegenfavela einrichteten, was dann in eine nicht genehmigte Party mündete, worauf  die Messeleitung einen Räumungsbefehl aussprach. Die darauf folgende Räumung erschien dann sogar Unbeteiligten als unverhältnismässig. Wer dies lieber in Bildern sehen will findet diese auf youtube. Das Résumé: Es kommen alle schlecht weg, angefangen beim Künstler, der auf einmal von Politik gar nichts mehr wissen will. Die Messeleitung verteidigt die Freiheit in den Künsten und in der freien Marktwirtschaft. Die Polizei tut was ihr befohlen wird und wird von niemandem geliebt. Die Aktivisten reduzieren ihren moralischen Auftrag auf eine Party.

Niemand kann Cézanne’s Äpfel essen, aber man kann sie kaufen.

 

Matthias Aeberli, August 2013