Gut und böse, gut oder böse oder inwieweit geht es in der Kunst um Inhalte?*

Bleiben diese nach Fertigstellung des Werkes unverändert? Können sich die Inhalte bei Verkauf, Diebstahl, Naturkatastrophen verändern? Der von I. Kant vorgeschlagene kategorische Imperativ kann ganz verschiedene, bisweilen gegensätzliche, Auswirkungen erfahren, je nach Interessenlage des Anwenders. Und schon ist das Prinzip der Verwandlung, oder der Wandlung nicht weit: es tritt dann auf, wenn sich verschiedene Vektoren unterschiedlichster Ausrichtung so bündeln lassen, dass dabei eine ganz neue Energie, eine andere Richtung, entsteht. Dies lässt sich in verschiedenen Disziplinen beobachten. Die Theologie ist nicht weit: der Begriff Transsubstantiation, (Wesensverwandlung), bezeichnet in der christlichen Theologie die Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu in der Heiligen Messe.

 

Sind Künstler unschuldig? Können schlechte Menschen gute Kunst hervorbringen? Werden schlechte Menschen durch gute Kunst zu besseren Menschen? Wo bleibt die schlechte Kunst? Sind schlechte Künstler die besseren Liebhaber? Sind Künstler deshalb die besseren Menschen weil sie als Vertreter einer Moralphilosophie oder als letzte Verfechter einer Ethik uns allen das Gute und Schöne auf den Tisch stellen? Wie verbindlich ist das jeweils Dargestellte? Wird ein Kunstkäufer automatisch ein anderer Mensch, weil die künstlerische Intention, also der Inhalt sich mit dem Kaufvertrag auf ihn überträgt? Das sind Fragen, deren Beantwortung nicht ganz einfach ist, denn auch hier gilt es einiges zu berücksichtigen, wer wem die Frage stellt zum Beispiel, oder besteht ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Frager und Befragtem.

 

Häufig ist ein Kunstwerk ein abgeschlossenes Ganzes. Es wird sich nicht mehr wesentlich verändern, es wird, ganz im Gegensatz zu seiner Umgebung, gleichbleibend der Zeit trotzen, der Alterungsprozess, dem alles Organische, zum Beispiel Menschen, unterworfen sind, betrifft das Kunstwerk nicht. Nicht immer jedenfalls, denn im letzten Jahrhundert haben sich neben dem statischen Kunstwerk auch eine Reihe anderer Möglichkeiten ergeben, das Fertige, Starre wurde ergänzt mit anderen Manifestationen, mit offenen, unfertigen, prozesshaften Strukturen. Die Zeichnung, lange nur als Funktion in Bezug auf das fertige Werk, Bild, oder Skulptur verstanden, hat eine ganz neue Art von Wertschätzung erfahren, der Begriff des offenen Kunstwerks ist während den 60er-Jahren entstanden, es gibt all die ursprünglich feministisch definierten Bemühungen, welche den Körper in das Kunstwerk einbauen, den der Künstlerin, den oder die des Publikums oder alle zusammen. Es gibt Konzepte welche schon vom eingesetzten Medium her ein absehbares Verfallsdatum beinhalten, welche den Kunstbegriff um eine andere Dimension bereichern: diese der Flüchtigkeit. Ein Altarbild aus dem 15. Jhdt. erscheint heute, immer vorausgesetzt, es hat die sozialen und politischen Wechselfälle überstehen können, ist also nicht verbrannt oder beim Bildersturm zu Schaden gekommen, als dasselbe wie zu seiner Entstehungszeit. Das birgt natürlich einige Komplikationen, es ist ja ganz offensichtlich dass in der Zwischenzeit einige Wechsel stattgefunden haben, welche die Lesart der Arbeit ganz entscheidend verändern können. Die Öl- und Temperamalerei auf Buchen- und Eichentafeln hat sich als sehr langlebig erwiesen, zudem hat sie den Wechsel vom immobilen Kunstwerk zur beweglichen Anlage favorisiert.

 

Dieses Bewusstsein, wie mit visuellen Produkten adäquat und sinnstiftend um- zugehen, gehört zu dem was seit K. Marx innerhalb des historischen Materialismus verhandelt wird.

Es ist offensichtlich, dass die Rezeption, der Umgang mit Kunst ebensowenig ein statischer Akt sein sollte, das heisst, ebenso, wie die Manifestationen der Kunst sich aus verschiedenen Ursachen verändern, andere entstehen, ebenso sollte sich der Umgang mit ihr verändern. Dabei müssen auch Umgebungen berücksichtigt werden, welche erstmal relativ kunstfern erscheinen wie die politische Grosswetterlage, die sozialen und ökonomischen Bedingungen der Hersteller wie auch diejenigen der Adressaten.

 

Je mehr, desto mehr. Es ist eine Binsenwahrheit: je mehr wir wissen, desto mehr sind wir genussfähig, erlebnisfähig, rezeptionsfähig. Je mehr zu vergleichendes Material, Vergleiche wir zur Verfügung haben desto besser können wir ein Ereignis, eben auch ein Kunstwerk einordnen und damit beginnen zu arbeiten. Auch hier Ähnlichkeiten mit der Finanzwelt: je mehr Kapital vorhanden, desto mehr kann man damit bewirken und desto mehr kommt dann noch dazu.

 

Spätestens seit dem Fall der Mauer in Berlin ist auch die Kunst im Allgemeinen wie auch im Speziellen zu einem wichtigen Anlageobjekt geworden. Das ist eigentlich äusserst irrational, da die Entsprechung von Material und Geldwert in keiner Weise dem entspricht, wie sich das bei anderen Spekulationsgegenständen wie etwa Gold, Öl und sonstigen Bodenschätzen immer noch einigermassen nachvollziehbar abschätzen lässt.. Der Materialwert (ohne Rahmung) von Francis Bacons «Three studies of Lucian Freud», eines der teuersten Bilder überhaupt, ist grob geschätzt etwa 1000.– Dollar, während der Wiederverkaufspreis 2013 über 140 Mio. Dollar beträgt, und es hat auch gar keinen Sinn, da jetzt eine prozentuale Steigerung in einer Zahl ausdrücken, ausrechnen zu wollen, weil die entstehende Zahl absolut irrelevant sein wird, denn, wir stellen es mit Erstaunen fest, es geht ja schliesslich um ganz etwas anderes: es geht nicht um das Material, nicht um die Materie und so sind wir unversehens wieder beim Geistigen, bei dem Geistigen in der Kunst angelangt. W. Kandinsky hat zwar etwas anderes gemeint, aber auch seine Erben haben dank dem Folgerecht, (in Deutschland seit den 70er-Jahren, in der EU seit 2001/2006 eingeführt, in der Schweiz immer noch bekämpft vom Kunsthandel und u.a. gefordert auch von der visarte), von der Preisexplosion auf dem Kunstsektor profitieren können. Mit anderen Worten: Geist ist zwar selten eindeutig fassbar, ist aber vielleicht auch gerade deswegen was wert. Geist kann sehr teuer sein, er ist der ultimative Luxus, weil er etwas absolut Irrationales, nicht Festzumachendes transportiert. Da hat sich doch definitiv was verändert: während vor 50 Jahren die Angeberattribute etwa teure Autos, Schmuck, Immobilien waren, hat heute die bildende Kunst mit ihrem esoterischen Geistanspruch diese Rolle ausgebaut und erweitert. Immer noch wichtig und unverzichtbar- die Aura des Originals, die lässt sich zum Beispiel mit Literatur oder Musik sehr viel schwerer erleben.

 

Interessant ist dass die Wertzunahme bei Kunstwerken seit der Renaissance zwar kontinuierlich ist, aber im 20. Jhdt. ab den späten 80er-Jahren exponentiell explodiert ist. Unnötig auch zu erwähnen, dass bei dieser Art von Warenverkauf die öffentliche Hand, also die staatlichen Museen, nicht mehr viel anzumelden haben und dass darum die Strategie, sich Leihgaben zu sichern, nachvollziehbar ist, wenn auch nicht ganz ohne Risiko, wie die Ereignisse in Basel um die und mit der Sammlung Staechelin mittlerweile schon zum zweiten Mal zeigt (1967 und 2015).

 

Und man kann auch nicht sagen, dass die wirklich teure Kunst etwa dem mainstream entspräche, Gerd Richter, Jeff Koons, Bruce Naumann, Markus Lüpertz, Immendorff zum Beispiel waren alle mal auf den ersten Rängen im Kunstkompass von Willi Bongard, ihre Arbeiten sind aber alles andere als gefällige, gängige Kalender- oder Posterkunst.

 

Im Umgang mit Kunst, soll dieser denn ein verbindlicher sein, geht es auch um Haltungen, um Statusfragen welche das Verhältnis von Kunst zu ihren Adressaten erstmal klärt. Es gibt da ganz schnell ganz verschiedene Kategorien von Adressaten, die natürlich je nach Interessenlage ein jeweils spezifisches Interesse an der Kunst haben.

Es gibt die Auftraggeber, es gibt die Sammler, es gibt die öffentliche Hand, es gibt die Betrachter, welche ohne die Kunst zu besitzen, mit ihr ins Verhältnis kommen, es gibt die Kuratoren, es gibt die schreibende Zunft, welche die Vermittlung betreiben, es gibt die Forschung. Dass dabei ganz verschiedene Ansprüche an das möglicherweise gleiche Objekt gestellt werden und dass dabei die Macht- und Besitzverhältnisse eine nicht unwesentliche Rolle spielen, wie im übrigen im globalen Warenverkehr sonst ebenfalls, ist wohl klar. Was aber die Kunst heraushebt aus dem allgemeinen Warenverkehr ist ihre Fähigkeit zur Transzendenz: sie kann mehrere Rollen gleichzeitig spielen und demzufolge kann sie auch in verschiedene Rollenmodelle eingefügt werden. Unabhängig von Besitzverhältnissen, immer allerdings nur solange sie halbwegs öffentlich bleibt, kann sie von verschiedensten NutzerInnen eingesetzt werden. Kein Mensch, auch nicht der Besitzer kann es mir verwehren an einer Arbeit teilzuhaben, die ich selbst nie kaufen könnte. Ist das erneut das Geistige, was sich da manifestiert? Das Geistige ist ein schöner Begriff, er ist aber alles andere als eindeutig.

 

Der Geist weht, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. (Johannesevangelium)
Verunklärung also einmal mehr, kein Wunder dass viele Linke mit der Kunst so ihre liebe Mühe hatten und haben, mit ihr lässt sich eben schlecht Dialektik illustrieren, viel eher lassen sich mit ihr die herrschenden Verhältnisse elegant und raffiniert möblieren.

 

Wie beim Fussball gilt auch bei der Kunst: Moral insgesamt bezieht sich immer auf die im Vergleich zu den anderen Primaten übermässige Aggressivität der Menschen, kompensiert und kanalisiert sie, d.h. macht sie im gewissen Sinne sozial, oder gesellschaftsfähig. (Günter Schulte, 2001)

 

Zum Schluss zwei Künstlerzitate:

«Leadership bedeutet, Regeln zu brechen.» Georg Baselitz in einem Inserat für die Automarke Maybach 2002.
«Ist es das Schicksal der Kulturrevolutionen, dass diese mit einem Programm beginnen und mit Ästhetik enden, d.h. Frieden mit derjenigen Ordnung machen, zu deren Veränderung sie antraten?» Frage von Richard Paul Lohse, damals 82 Jahre alt, im Jahre 1984.

 

Leseempfehlungen:

Peter Weiss, «Die Ästhetik des Widerstands», Suhrkamp 1975, 1981, 1982 Wolfgang Ullrich, «Siegerkunst – Neuer Adel, teure Lust», Wagenbach 2016

(*Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für alle Geschlechter.)

 

Matthias Aeberli