Wohin mit dem Zeug?

 

Kunst ist ein auch virtuelles Phänomen, nimmt aber in den meisten Fällen durchaus physisch messbare Dimensionen an und sie hat die Eigenschaft, dass sie sich im Laufe der Zeit eher vermehrt. Sowohl für den einzelnen Künstler als auch für grössere Gemeinschaften ergibt

sich somit ein Problem, wohin mit der Ware, wenn sie nicht schon vom Warenverkehr, vom Tauschhandel absorbiert und veredelt worden ist.

Man kann natürlich einwenden, dass das, was nicht verkauft worden ist, nichts wert ist und dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass es jemals an Wert zulegen wird. Somit muss es weg. Das entspricht der neoliberalen Überzeugung, dass Wertschöpfung der einzige Massstab

sein soll, an dem sich Arbeit messen lässt. Nach Beat Wyss ist es der Markt, der die Kunst erst erschafft, ein positivistischer Ansatz, der bestimmt in der neu erstarkten Mitte viele Anhänger finden wird. Wenn alle KünstlerInnen funktionierende KMU’s zu sein haben, so bleibt

nicht viel Spielraum und wie eine bekannte lebende Künstlerin gesagt hat: wer es mit dreissig nicht geschafft hat, soll es doch lieber lassen.

Das schafft klare Verhältnisse. Auch die staatliche Kunstförderung möchte sich natürlich gerne in ihrer Tätigkeit bestätigt sehen, indem die von ihr geförderte Kunst sich dann auch als marktbeherrschend herausstellt.

Wenn es nun doch noch KünstlerInnen 40+ gibt, die sich erdreisten ihre Arbeit auch ohne Auftrag und ohne Anerkennung fortzusetzen, so kann man doch weidlich fordern, dass sie sich auch selbst um die Entsorgung ihrer Ware möglichst vor dem Todesfall bemühen, oder zumindest

eine Haftpflichtversicherung abschliessen, welche Räumung, Entsorgung und Reinigung beinhaltet.

Ein über 10 Jahre alter Text, ein Konzeptpapier von Bruno Gasser und Marius Rappo, ist kürzlich wieder aufgetaucht. Sein Titel: «Wer

sich einen Friedhof leistet, kann sich auch ein KL (Kunstlager) leisten!

» Dieser bezieht sich zuerst einmal auf die Situation im Atelierhaus Kaserne: Die Stadt Basel hat mit ihrer Atelierhausidee einen

funktionierenden Ort, quasi Heimat- und Begegnungsort, für ihre hier tätigen Künstlerinnen und Künstler geschaffen. Weiter: Und es wird

auch Zeit, sich mit dem Gedanken der Kunstkonservierung genauso fortschrittlich und weitsichtig auseinanderzusetzen, wie damals mit

der Atelierhausidee. Und: Dringend wichtig und notwendig sind Lagerräumlichkeiten, die geeignet sind, Kunstwerke aufzubewahren.

Wir möchten diese Diskussion gerne aufnehmen und weiterführen: ganz ohne Polemik könnte man eine vorsichtige These aufstellen, dass

Kunst immer eine Verhandlungssache bleibt, das heisst die Qualität, der Wert, das Ranking derselben ist immer wieder neu und anders bewertbar und soll dies auch bleiben. Das bedeutet auch, dass man sich schon ein wenig Zeit lassen sollte, bevor man Material definitiv entsorgt.

Meist fehlt aber genau diese Zeit und der dazugehörige Ort, Raum. Wir denken an eine Infrastruktur, welche die Lagerung, die Sichtung, die Aufarbeitung als Aufgabe hätte und die zudem auch noch öffentlich nutzbar wäre. Natürlich geht das nicht ohne zusätzliche Mittel

und natürlich nicht ohne die Überzeugung, dass auch die relativ unbekannte, meist lokale Kunst ihre Daseinsberechtigung und somit 

ihren Wert hat. Wenn wir auf der einen Seite das Museum haben, welches sein gesammeltes, gekauftes und geschenktes Material für alle Ewigkeit behüten und beschützen möchte und auf der anderen Seite die Mulde, wo alles reinkommt, was eben nicht museumswürdig ist, ergibt sich eine relativ offene Schere. Macht nicht immer Sinn.

Im Übrigen sind wir nicht der Ansicht, dass alles was sich Kunst nennt per se auch Anspruch auf Ewigkeit haben muss. Wir plädieren lediglich für eine vertiefte Beschäftigung mit Ware, mit Material, welches nicht, noch nicht definiert worden ist, einschliesslich einer wiederkehrenden Evaluation des etablierten Materials, wohlverstanden. Entsorgen ist auch entlastend, tabula rasa schafft erst Unbefangenheit, aber dann: bitte auf allen Ebenen gleichzeitig.

Natürlich könnte und sollte man das Internet belasten mit all dem Material, welches sonst nirgendwo Raum gefunden hat, das heisst eine

staatliche Behörde könnte all die anfallenden Nachlässe ordnen und bearbeiten, das wäre relativ kostengünstig. Virtueller Raum ist noch vorhanden und kostet ausser den Aufbereitungskosten fast gar nichts. Wenn wir nun einen Schritt weiterdenken und uns das digitale Netz als

eine analoge, reale Verflechtung vorstellen, wie sie etwa mit dem Schienennetz der SBB schon gegeben ist, so ist der nächste Schritt nur

klein: jeder Kanton stellt einen Bahnwagen (dessen Umbau wäre auch eine Möglichkeit zur Profilierung für Designer, Architekten und

Künstler) zur Verfügung, welcher in regelmässigen Abständen an einen Zug angehängt wird und sich bewegt. Dieser Wagen dient einerseits als Arbeitsort für Kuratoren. Diese gestalten aus dem vorhandenen Material unerwartete Zusammenstellungen und anderseits ist die ganze Geschichte öffentlich zugänglich. Auf dem Weg von Basel nach Solothurn können Sie, anstatt den Speisewagen zu besuchen, eine werdende Ausstellung reinziehen, also uns würde das gefallen. Kunst auf Rädern, auf der Reise. Man stelle sich vor, das ist jetzt auch eine logistische Denk- sportaufgabe: jeweils an einem bestimmten Datum fahren verschiedene Wagen in der ganzen Schweiz herum, vom Tessin nach Basel von Zürich nach Willisau etc., etc., bleiben am Zielort auf einem Abstellgleis für eine Woche z.B. und fahren dann wieder zurück. Undsoweiter. In

den Wagen wird natürlich auch gearbeitet, wenn sie stillstehen.

Es gäbe dann noch einige zu klärende Details, wie so oft, vor allem wer diese neue Form von service public bezahlen darf und wer die Verantwortung übernehmen soll und weiteres mehr. Wenn so ein Projekt überhaupt realisierbar wäre, dann nur auf nationaler Ebene, und das

könnte zum Beispiel bedeuten, dass der Bund der visarte Schweiz den Auftrag in Lizenz vergibt, diese bindet das SIK mit ein und gibt den

Job regionenweise an ihre Sektionen weiter und diese wiederum arbeiten mit den Staatsarchiven Hand-in-Hand –also auch eine Einübung föderalistischer Strukturen und eine Chance für visarte als Trägerschaft, nationales Kulturerbe zu verwalten und zu publizieren.

When do we take off?

 

Matthias Aeberli 2011